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------------ Astronomie in Zeiten des Coronavirus ------------

Das Weltraumspektakel im Höhlen-Nebel Sh2-155

(Bericht von Dr. Burkhard Lührmann, März 2021)

Da sich Anfang Herbst 2020 aufgrund außergewöhnlich guten Astronomiewetters neben den Untersuchungen des Gamma-Cygni-Komplexes (siehe gleichnamiger Bericht) noch weitere Belichtungszeiten anboten, warf ich mein astrofotografisches Auge auf ein nicht ganz so häufig beobachtetes Objekt in der nördlich benachbarten Konstellation Cepheus: Den Höhlennebel Sh2-155. Was für ein Weltraumspektakel!

Das folgende Mosaik setzt sich aus fünf Teilbildern zusammen, die jeweils aus 100 einminütigen Belichtungen aufintegriert sind. Die Fotos stammen von einer EOS 7D mit Zeiss-Objektiv Makro-Planar T* 2/50mm ZE auf der Reisemontierung Polarie.



Die Abbildung ist als Ganzes astrometrisch vermessen und gibt einen Überblick über den südlichen Teil des Sternbildes Cepheus. Das weiße Rechteck, dessen Inhalt hier eher unauffällig scheint, deutet den Ausschnitt des nächsten Bildes an.



Die Breitenabmessung von 1,4° wird auf meiner Balkon-Sternwarte in Hasbergen durch die CCD-Kamera Moravian G3-16200 an dem Refraktor Takahashi TOA-130 mit Flattener FL-67 bei 1000mm Brennweite mit einer theoretischen Pixelauflösung von 1,2" erreicht. Das Equipment lässt sich auf einer 10-Micron Montierung GM 2000 QCI ohne Autoguiding nachführen.

Die mithilfe der LRGB-Filter der Astrodon Gen 2 E-Series und dem Astrodon Narrowband H-alpha 3nm aufgenommenen Bildkomponenten entstehen in den neun Nächten vom 11., 13., 15. und 17. bis 22.09.2020. Aus 44 Luminanz-, 21 Rot-, 22 Grün- und 22 Blau-Subframes mit jeweils 240s Belichtungszeit und 29 H-alpha-Bildern á 600s ergibt sich eine Gesamtbelichtungszeit von 12 Stunden und 6 Minuten. Zusammen mit der Sensortemperatur von -25°C kann das Signal-/Rauschverhältnis unter PixInsight soweit erhöht werden, dass auch die zarten Nebelflüsse ohne störendes Rauschen herauszuarbeiten sind. Die H-alpha-Komponente ist dem Rotkanal beigemischt, wobei vorher alle Sterne aus unserer Milchstraße weitgehend morphologisch erodiert worden sind, um die Sternfarben im LRGB-Bild farblich nicht zu verfälschen. Für Amateurbeobachtungen ist dieses Objekt trotz seiner Größe von etwa 8×40 Lichtjahren relativ schwach.

Der diffuse Nebel Sh2-155 wurde erstmals 1959 in der erweiterten zweiten Ausgabe des Sharpless-Kataloges als galaktischer Emissionsnebel erwähnt. In Patrick Moores Caldwell-Katalog fand er als Objekt Caldwell 9 seinen Platz. Dieser prägte auch den bezeichnenden Namen „Höhlennebel“ (Cave Nebula), weil die helle Ringhälfte wie die Eingangsöffnung einer Höhle aussieht:



Eine weitere Benennung ist LBN 529 (astronomischer Katalog von Beverly Lynds). Diese HII-Region (Plasma aus ionisiertem atomarem Wasserstoff) liegt etwa 2400 Lichtjahre von der Erde entfernt und ist ein Teil der viel größeren Cepheus OB3b Assoziation, die am Rand der Molekülwolke Cepheus B liegt.



Die Assoziation ist eine sehr aktive Region für Sternentstehungen. Vermutlich ist die Strahlung des heißen Sterns HD 217086 für die Bildung einer neuen Generation von Sternen verantwortlich. Sie komprimiert die Materie insbesondere in Richtung des Massezentrums der Cepheus B-Wolke. Hier liegt ihr heißer Molekülwolkenkern. Nach dem strahlungsgetriebenen Implosionsmodell, das für die Schockgeschwindigkeit eine empirische Schätzung von 1 km/s zulässt, wird der Höhlennebel gewissermaßen eingequetscht. Die Entfernung von HD 217086 beträgt laut Simbad etwa 2800 Lichtjahre und liegt damit in der Größenordnung der Nebelentfernung. Messungen des Spitzer-Weltraumteleskops zeigen, dass das Alter der Sterne in dieser Region zunimmt, je dichter sie sich vor der Wolke befinden. Dort hat die Verdichtung bereits vor längerer Zeit für Sterngeburten ausgereicht. Die Verdichtungswelle breitet sich nun in Richtung HD 217086 weiter aus. Damit wird die Hypothese der durch diesen Stern ausgelösten Sternbildung unterstützt. Das Alter der Sterne in der betrachteten Cepheus OB3b Assoziation liegt bei nur unter 4,5 Mio. Jahren.

Etwas unterhalb von HD 217086 befindet sich der Stern HD 217061, laut Simbad etwa 100 Lichtjahre weiter entfernt. D.h. beide Sterne leuchten durch die Wasserstoffwolke. Der Zentralbereich des Emissionsnebels Sh2-155 erscheint daher besonders kontrastreich.



Die Kanten des roten Wasserstoffnebels weisen durch markante Staubwolken schöne Strukturen auf. Diese spannende Kombination aus Emissions- und Dunkelwolken bilden plastisch wirkende Fronten aus, die den im Durchmesser etwa 10 Lichtjahre großen Höhleneingang umgeben. Aber ist das wirklich eine Höhle? Nein, es ist eine Staubwolke mit der Bezeichnung Dobashi 3420 (Katalog von Dunkelwolken von Kazuhito Dobashi). Was für ein Weltraumspektakel!

Während HD 217086 als junger O7-Stern der heißesten Spektralklasse angehört, kann HD 217061 als B3-Typ in Sh2-155 nur die überlagerte, leicht bläuliche Färbung durch Lichtstreuung am Staub bewirken. Sie lässt sich in den helleren weiß/grauen Bereichen erahnen. Zusätzliche Aufnahmen mit OIII-Filter wären hier in Zukunft noch sinnvoll.

Sucht man entlang des sichelförmigen Höhlennebels nach der hellsten Stelle, so fällt ein Bereich mit vier eng beieinander liegenden Sternen auf. In der folgenden Abbildung ist keine H-alpha-Komponente eingearbeitet worden, sodass die orange Färbung der Sterne und der reflektierenden Umgebung auffällt.



Dies ist die aktivste Stelle in Sh2-155. Sie ist mit dem Namen [MCD93] Cep B 19 (nach Moreno-Corrall) bezeichnet worden, wo sich eine zweite Generation von sehr jungen Sternen gebildet hat. Die gekennzeichnete Position ist das Zentrum der Infrarotquelle, die sich im Sichtbaren bereits hinter der Dunkelwolke Dobashi 3420 versteckt.
Die oben beschriebene bläuliche Farbreflexion ist hier auch besser zu erkennen.

Betrachten wir diese farbenfrohe Himmelslandschaft einmal etwas weiter unten rechts. Hier macht sich der gelb/orange Riesenstern HD 216945 auffällig. Er liegt zwar mit 2400 Lichtjahren ebenfalls in der Entfernung von Sh2-155, hat aber mit dem kosmischen Geschehen in diesem Gebiet nichts weiter zu tun.



Westlich von HD 216945 schließt sich ein Komplex aus den Dunkelwolken Dobashi 3410 und 3406 an. Wenn man von dieser Deklination aus die obere mit der unteren Hälfte des Gesamtbildes vergleicht, könnte man annehmen, dass die Aufnahme im Norden in einen rot-gelblichen Ton verfälscht oder lichtverschmutzt sein könnte. Ein Vergleich mit anderen tief belichteten Fotos beweist aber die Authentizität. Unglaublich große Mengen an Gas und Staub in der Entfernung von LBN 529 bewirken eine auffällige Rötung des Sternenlichtes. Zum Süden nimmt sie deutlich ab, aber wird hier auch der Staub weniger? Nein, im Gegenteil! Die untere Bildhälfte erscheint dunkler, weil es auf dem Weg zu uns mehr davon gibt. Mit der in PixInsight durchgeführten fotometrischen Farbkalibrierung kommen auch blaue Lichtkomponenten gut zur Geltung. Das zeigt z.B. der etwas südlich gelegene leuchtend blaue Reflexionsnebel LBN 524.



Der auch als DG 188 (Dorschner und Gurtler) bezeichnete Nebel reflektiert das blau-weißliche Licht des Sterns HD 216629 und dehnt sich über etwa 5,6’ aus. Dieser Bereich wird auch mit vdB 155 (Katalog von Reflexionsnebeln von Sidney van den Bergh) bezeichnet. Dies ist aber nur die Größe des Streubereiches, der Staub ist viel verbreiteter und führt ringsum zur Himmelsabdunklung.
Bei HD 216629, der ebenfalls zur Cepheus OB3b Assoziation gehört, handelt es sich um einen Herbig-Ae/Be-Stern. Das ist ein sehr junger Stern mit einigen Sonnenmassen und einem Alter von unter 10 Millionen Jahren, der für ein stabiles Wasserstoffbrennen noch keine genügend hohe Temperatur im Inneren erreicht hat. Die abgestrahlte Energie stammt noch aus der Kontraktion und ist variabel auf einer Zeitskala von Sekunden bis Hunderten von Tagen. Demnach kann sich auch die Leuchtkraft des Reflexionsnebels ändern. Was für ein Weltraumspektakel!

Auch weiter östlich (links) befinden sich Sterne, welche diese Staubwolken bläulich reflektieren lassen. Ein besonders interessant aussehendes Objekt ist ein rotes Gasknäuel.



Hierbei handelt es sich um eine Vielzahl verschachtelter Komponenten des Herbig-Haro-Objekts HH 168. Ein Herbig-Haro-Objekt (nach George Herbig und Guillermo Haro) ist ein nebliges Gebilde um einen oder mehrere junge Sterne. Es entsteht, wenn vom Stern ausgestoßenes Gas (protostellarer Abfluss) auf Staubwolken trifft. Die Lebensdauer ist mit bestenfalls ein paar tausend Jahren sehr kurzlebig. Das Objekt kann aber in sehr kurzer Zeit sichtbar werden, wenn es sich schnell von seinem Ursprungsstern weg in die interstellare Materie hineinbewegt. Seine Dichte ist sehr viel höher als diejenige von H-II-Gebieten oder planetarischen Nebeln.
Teile der Schockblase HH 168, auch mit GGD 37 bezeichnet, ist auf obigem Bild anhand der resultierenden H-alpha-Emission zu sehen. Die Schocktemperatur beträgt mehr als 100.000 K und die Schockgeschwindigkeit etwa 200 Kilometer pro Sekunde. Die ausgestoßene Materie ist zunächst größtenteils ionisiert und rekombiniert mit Entfernung vom Stern. Durch spätere Kollisionen können wieder erneute Ionisationen auftreten, die zu leuchtenden Kappen führen. Es sieht für mich so aus, als wenn die weitesten Ausläufer tatsächlich etwas hellere rote Lichtpunkte aufgesetzt haben. HH 168 ist aufgrund dieses erweiterten Photoionisations- oder Kollisionsionisationsbereiches ein äußerst ungewöhnlicher protostellarer Abfluss. Die verantwortlichen jungen Sterne gehören zur Assoziation Cepheus A, siehe vierte Abbildung oben. Was für ein Weltraumspektakel!

In der Umgebung befinden sich noch weitere Herbig-Haro-Objekte, die in der folgenden Abbildung durch Erhöhung der Helligkeit sichtbar werden.



Die Blasen HH 169 und HH 174 erscheinen aber erheblich schwächer.

Direkt über dem Herbig-Haro-Objekt HH168 befindet sich ein kleiner dunkler Bereich, der an den Schlüssellochnebel erinnert. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Bok-Globule (nach Bart Bok), eine Molekülwolke vor dem Hintergrund eines Emissionsnebels, in welcher sich Protosterne immer weiter verdichten, bis sie für die Kernfusion heiß genug sind.

Etwa 10 Bogenminuten südöstlich ist ein orange leuchtender, winzig kleiner Reflexionsnebel erkennbar.



Sein Name lautet GN 22.55.2. Der im Zentrum liegende Stern ist TYC 4282-861-1. Mit einer Entfernung von etwa 2.700 Lichtjahren (SIMBAD) könnte er diesen anleuchten.

Bei weiterer Begutachtung des Gesamtbildes fiel mir am unteren Rand ein winziges besonders intensiv rot leuchtendes Objekt auf, das eigentlich zu einem Strich verzerrt ist. Volltreffer! Meine Recherche in SIMBAD ergab, dass es sich um einen jungen bipolaren planetarischen Nebel handelt.



Seine Bezeichnung lautet IRAS 22568+6141 oder auch G110.1+01.9. Mit einer Entfernung von fast 20.000 Lichtjahren liegt er deutlich hinter den bisher betrachteten Deepsky-Objekten. Seine bipolare Ausdehnung beträgt 8" und die Expansionsgeschwindigkeit 70 km/s. Das kinematische Alter ergibt sich zu etwa 1.800 Jahren. Der Anregungsstern hat eine effektive Temperatur von 24.000 K. Diese Daten wurden von Pg. Lario et. al. bereits 1991 veröffentlicht.

Bei der Aufnahme dieses Ausschnitts im Sternbild Cepheus ahnte ich nicht, auf welch eine Vielfalt von farbenfrohen Emissions- und Reflexionsnebeln, formenreichen Dunkelnebeln und Staubwolken, Globulen und expandierenden Gasblasen, galaktischen und planetaren Nebeln ich stoßen würde, die sich zudem physikalisch sehr stark unterscheiden. Es gibt viele interstellare Details aufzudecken. Was für ein Weltraumspektakel!

Zum Abschluss dieses Berichts präsentiere ich wie immer einen schmalen Bildstreifen durch das Gesamtbild.



Literatur/Infos:
Wikipedia: Sh2-155, Herbig-Haro-Objekt, Herbig-Ae/Be-Stern
The Astrophysical Journal (June 2009) - Konstantin V. Getman, Eric D. Feigelson, Kevin L. Luhman, Aurora Sicilia-Aguilar, Junfeng Wang and Gordon P. Garmire: Protoplanetary Disk Evolution Around the Triggered Star-Forming Region Cepheus B
Spektrum.de: Sh2-155 "The Cave Nebula"
AstroBackyard.com: Caldwell 9: The Cave Nebula
Apod.nasa.gov: Astronomy Picture of the Day (2017 March 23): Sh2-155 The Cave Nebula
Sternwarte Bärenstein: HD 217086 macht Druck
Nasa.gov: Caldwell 9
Astronomie.de (51/2020): Der Höhlennebel Sh2-155
astrofotoblog.de: SH2-155 - The cave nebula
Spektrum.de: Nebelparade - SH2-155, VDB 155, LDN 1210, ...
astro-photos.net: LBN 524, Cepheus A und GN 22.55.2 im Kepheus
The Astronomical Journal (September 2000) - Patrick Hartigan, Jon Morse and John Bally: Optical and infrared images and spectroscopy of the HH 168 Bubble in Cepheus A
arXiv.org - J.D. Green, D.M. Watson, E. Bergin, S. Maret, G. Melnick, P. Sonnentrucker, V. Tolls, B. A. Sargent, W. J. Forrest, K.H. Kim, S. N. Raines: GGD 37: An Extreme Protostellar Outflow
University of Groningen – Pg. Lario, A. Manchado, A. Riera, A. Mampaso, Pottasch: IRAS-22568+6141 - A new bipolar planetary-nebula




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