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Polarlichter über Island
Bericht über eine Reise zur Aurora Borealis, 23. - 31. März 2022, von Dr. Gerold Holtkamp
„Von zehnmal ist es einmal richtig gut“. So geht ein Sinnspruch unter Seglern. Er beschreibt, dass viele Faktoren den Erfolg eines Segeltörns beeinflussen, insbesondere das Wetter. Bei der Jagd auf Polarlichter ist es ähnlich. Das Wetter und damit die Wolkendichte sind ebenfalls wesentliche Faktoren. Beim Polarlicht kommt natürlich hinzu, dass überhaupt erst einmal genügend Sonnenwind auf der Erde ankommen muss, um die Leuchterscheinungen zu erzeugen.
Beim letzten Faktor kann man seinem Glück etwas nachhelfen. Die Sonne unterliegt einem etwa 11-jährigen Aktivitätszyklus. Sichtbarstes Zeichen sind die Sonnenflecken. Aber auch aktive Zonen mit entsprechenden Eruptionen und sog. koronalen Massenauswürfen (Coronal Mass Ejection = CME) können beobachtet werden (s. a. "Sonnenbild der Woche"). Die Sonne hatte seit mehreren Monaten deutlich an Aktivität zugelegt, was die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Polarlichtern erhöhte.
Sonnenfleckenzahl
(Quelle: Space Weather Prediction Center )
Außerdem ist eine Reise um eine der beiden Tag- und Nachtgleichen erfolgversprechend, weil dann das Erdmagnetfeld in einer Stellung zum solaren bzw. interplanetaren Magnetfeld steht, die erfahrungsgemäß Polarlichter mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auftreten lässt. Der Grund hierfür ist noch nicht vollständig geklärt.
Wichtig ist außerdem, dass der Mond in der Nacht möglichst nicht am Himmel steht. Dafür hatte ich die Seite https://www.timeanddate.de zu Rate gezogen. Der Zeitraum vom 23. bis 31.3.2022 war danach optimal. Damit die Wahrscheinlichkeit, Polarlicht zu sehen, möglichst groß war, hatte ich einen achttägigen Aufenthalt geplant. In einer der Nächte müsste es doch klappen … . Die nächste Neumondphase wäre nicht sinnvoll gewesen, weil es dann wegen der unmittelbaren Nähe zum Polarkreis nicht mehr vollständig dunkel werden würde. Schon im März herrscht ausreichende Dunkelheit erst ab ca. 23 Uhr.
Island erreicht man gut mit der Fluglinie Icelandair von Amsterdam oder Frankfurt. Bei einer früheren Reise nach Island (s. Bericht) war ich von Amsterdam gestartet. Diesmal bin ich von Frankfurt am 23.3. um 13 Uhr geflogen und nach 3,5 Stunden in Keflavik, dem internationalen Flughafen Islands, angekommen. Die Mietwagenübernahme funktioniert reibungslos. Erstes Ziel war der kleine Ort Borganes, nördlich von Reykjavik. Ich beabsichtigte am nächsten Tag weiter in den Norden in die Gegend um Akureyri, der zweitgrößten Stadt Islands, zu fahren, weil dort der Einfluss des Golfstroms geringer ist. Meine Erwartung war, dass deswegen die Wolkenbildung dort ebenfalls geringer sei. Es kam anders.
Borganes, Blick aus dem Fenster auf Schnee, Regen, verschneite Berge
Für den nächsten Tag war die Voraussage für den Norden sehr schlecht, aber für den Süden schien es eine Chance zu geben. Also fuhr ich am 24.3. ca. 3 Stunden bis nach Vik. Ich hatte Pech. Es gab eine Wolkenlücke in der Dämmerung, die sich aber schnell schloss. In der nächsten Nacht sollte es im Norden um den Flecken Laugarbakki vielleicht klar werden. Also habe ich mich auf den fünfstündigen Weg gemacht. Die Fahrt über den Pass entwickelte sich zum bei weitem anstrengensten Teil meiner Reise: unten Regen und Sturm, dann Schneeregen, dazwischen Eisregen, dann nur noch Schnee, aber immer Sturm.
Aus Regen wird Schnee
Die letzte Aufnahme aus dem Autofenster vor dem Pass
Schließlich (zweistündig verspätete) Ankunft in Laugarbakki im Norden. Die Voraussage blieb bei „geschlossene Wolkendecke“, auch für die nächste Zeit.
Ankunft
Am folgenden Tag setzte aber tatsächlich Tauwetter ein, so dass sich auch der Schnee auf der Wiese vor dem Hotel in Schneematsch verwandelte. Spätabends um 22 Uhr bin ich sicherheitshalber noch einmal nach draußen gegangen. Die Magnetfeldmessungen zeigten schließlich Aktivität an - man weiß ja nie … .
Magnetfeldmessungen des Leirvogur Magnetic Observatory, University of Iceland
Unten am Boden war der Schneematsch, aber oben, da tanzte das Polarlicht! Es hatte sich tatsächlich eine große Wolkenlücke gebildet. Das Polarlicht war fast direkt über mir. Für ca. 1,5 Stunden konnte ich den Anblick genießen und Aufnahmen machen.
Polarlicht am 26.3.2022 über Laugarbakki, Canon 6D, 14mm, f2.8, ISO 3200, 5s
In der unteren Bildmitte sind auch die Plejaden zu erkennen.
Polarlicht am 26.3.2022 über Laugarbakki, Canon 6D, 14mm, f2.8, ISO 3200, 6s
Die Wolken kehren zurück.
Nach diesem ersten Erfolg (endlich!) machten mir die Wetteraussichten für die nächste Nacht Mut: relativ klarer Himmel bis 1 Uhr morgens, allerdings nur weiter im Norden, allerdings mit Sturm und weit unter Null Grad. Also bin ich am nächsten Tag bis zum kleinen ehemahligen Fischerdorf Skagaströnd gefahren, wo ich dann auch für die nächsten drei Nächte geblieben bin.
Skagaströnd von der Spitze meines Beobachtungshügel aus. Nachts war ich weiter unten am Nordmeer, um Schutz vor Sturm und künstlichem Licht zu haben.
Der Wetterbericht hielt Wort. Es wurde die erlebnisreichste Nacht meiner Reise!
Polarlicht in der Dämmerung über dem Nordmeer bei Skagaströnd am 27.3.2022, Canon 6D, 14mm, f2.8, ISO 10000, 1s
Polarlicht direkt über mir, 27.3.2022, Skagaströnd, Canon 6D, 50mm, f1.4, ISO 1600, 0.5s
War das Polarlicht in der Nacht zuvor für meine bloßen Augen eher lichtschwach und gräulich erschienen, so war dies ein besonders heller Ausbruch, bei dem ich auch mit freiem Auge die Farben sehen konnte. Das sieht man auch gut an den deutlich kürzeren Belichtungszeiten, auch wenn ich bei der letzten Aufnahme ein lichtstarkes Normalobjektiv verwendet habe.
Die beiden folgenden Nächte brachten zwar einen relativ klaren Himmel und Windstille, aber leider nur eine schwache Polarlichtaktivität. Aber immerhin, es war etwas zu sehen.
Polarlicht vor dem letzten Tageslicht über dem Nordmeer, 29.3.2022, Skagaströnd, Canon 6D, 50mm, f1.4, ISO 1600, 2s
Am 30.3. ging es wieder zurück nach Reykjavik, um dort zu übernachten. Der Rückflug sollte frühmorgens kurz nach 7 Uhr starten. Für den 31.3. um ca. 3 Uhr morgens war sehr große Polarlichtaktivität angekündigt, verursacht durch mehrere CME. Der Abend und die Nacht waren stark bewölkt mit einer kleinen Chance für den zweiten Teil der Nacht. Die Chance habe ich genutzt und habe mich um 3 Uhr in Mosfellsbaer, einem nördlichen Vorort der Hauptstadt, auf den etwa einstündigen Weg zum Flughafen gemacht. Ca. 15 Minuten vor Ankunft am Flughafen war mir eine dunkle Beobachtungsstelle von einer meiner früheren Reisen bekannt. Als ich die Scheinwerfer abgeschaltet hatte und aus dem Auto ausstieg, tanzte tatsächlich wieder das Polarlicht am Himmel, da und dort und auch wieder direkt über mir.
Polarlicht aus dem Zenit am frühen Morgen um 3 Uhr, 31.3.2022 bei Grindavik, Canon 6D, 50mm, f1.4, ISO 1600, 2s
Polarlicht am frühen Morgen um 3 Uhr, 31.3.2022 bei Grindavik, Canon 6D, 50mm, f1.4, ISO 1600, 2,5s
Die Polarlichter besaßen aber merkwürdigerweise nur eine sehr geringe Helligkeit, so dass ich keine Farben erkennen konnte (Die Experten von spaceweather.com hatten statt eines G1 Sonnensturms einen der Klasse G3 vorausgesagt.). An den Aufnahmen ist dies an den langen Belichtungszeiten zu erkennen. Strukturen und Bewegungen der Polarlichter waren aber genauso ausgeprägt wie in den Nächten zuvor.
Die Beobachtungssituation war ausgesprochen beeindruckend: Einsamkeit und völlige Dunkelheit trotz der nahen Stadt. In der Stille tanzten die Polarlichter. Meine Reise zur Aurora Borealis hatte sich gelohnt.
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Aus den statischen Reihenaufnahmen habe ein animiertes GIF (Kamera Canon 6D, 14mm, f2.8, ISO 10000, 1s, 5fach Zeitraffer) und auch noch Videosequenzen erstellt. (-Hier geht´s zu den Videos-)